Bildquelle: "Unser schönes Samland", Ausgabe Ostern 1973, S. 10

Wie Krähen als „Nehrungstauben“ zur Delikatesse im alten Königsberg wurden

Aus Erzählungen meiner Oma (Emma Nebel, verw. Kloss, geb. Lepa aus Heinrichswalde, 1886-1965) zu meiner Kinderzeit während der 50er Jahre weiß ich, was „Krajebieter“ (Krähenbeißer) waren. Heute noch, wenn ich einen Krähenschwarm um seinen Schlafbaum kreisen sehe oder das unverwechselbar monoton-grelle Krächzen dieser Tiere an mein Ohr dringt, denke ich an einen ihrer Berichte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit zurück, den von den Krajebietern auf der Nehrung.

Meine Großmutter hatte etliche dieser meist jungen Burschen noch gekannt und bei ihrer Arbeit gesehen. Es waren Fischer, die in jenen harten Zeiten um die Jahrhundertwende vor allem an stürmischen Herbsttagen und im Winter keine Arbeit hatten. Manche von ihnen besannen sich auf der Suche nach einem Broterwerb einer alten Tradition, die auf der Nehrung wie auch in der Niederung nicht unüblich war: das Fangen, Töten, Zubereiten und Verkaufen von Krähen.

Wie das konkret vor sich ging, das beschrieb besonders anschaulich Werner Nadolski in einem kleinen Aufsatz: „Die Kurische Nehrung wie eine gebogene Säbelklinge“, in: Unser schönes Samland, Heft III 1980 S. 16):


"Gefesselte, zahme Krähen und ausgelegte Fischabfälle innerhalb der ausgelegten Netze lockten die Krähenzüge an. Das im Sand gut getarnte Schlagnetz wurde von einer Reisighütte mittels Reißleine bedient und schlug dann zu. 50 bis 70 Krähen wurden an guten Flugtagen je Fang gemacht. Die Tötung erfolgte einfach durch einen Biß des Fischers in den Krähenkopf, der dadurch eingedrückt wurde. Das war zwar nicht sehr appetitlich, aber dafür ein schneller Tod des Vogels. 'Krajebieter' nannte man daher diese Fischer."


Nun bereitet vielen unter uns heutzutage die Vorstellung, eine Krähe zu verspeisen, ein gewisses Unwohlsein. Und allein schon der Gedanke daran, eine gefangene Krähe durch einen herzhaften Biss ins Genick zu töten, lässt Ekel in uns aufsteigen. Doch das Leben damals in jenem Teil Ostpreußens war hart, und es gab immer wieder große Hungersnöte, wenn wieder einmal die Ernte in einem der ohnehin kurzen Sommer zu knapp ausgefallen war. Da war eine lecker zubereitete Krähe eine willkommene Bereicherung in der kargen Küche. Und in größerem Stil bot der Fang von Krähen manchem Fischer sogar einen guten Nebenerwerb.

Meine Oma erzählte, dass Krähen von der Nehrung und aus der Niederung – sorgfältig gerupft, ausgenommen, angeräuchert und gepökelt – in Holzfässern nach Königsberg transportiert wurden und dort als beliebte Delikatesse geschätzt waren. Es waren, so versicherte mir die Oma, wohl um mein aufsteigendes Gruseln vor dieser Art von Speise zu dämpfen, ausschließlich „Karekles“, also jüngere, zartfleischige Krähen, die da den Weg in die Küche der feinen Gesellschaft in Königsberg fanden. Mag sein, dass der eine oder andere zähe Altvogel bei den armen Fischern selbst auf den Tisch kam. Der Samländische Heimatbrief (Ausgabe III 1980 S. 16) weiß zu berichten: 

„Eine beachtliche Einnahme für die Fischer war der Verkauf der gerupften Krähe als 'Nehrungstaube' auf dem Königsberger Markt. Sie wurde dort gerne gekauft, selbst Delikatessengeschäft Langanke am Steindamm ließ sich beliefern.“ 

Nur kein Hochmut: Auch bei uns heute gilt z. B. eine fein gewürzte Taubenbrühe ebenso wie Wachteln, Fasane und anderes Federvieh selbst unter Spitzenköchen als beliebte Zutat zur Bereicherung einer Speisenfolge. Und bei Licht besehen: So sehr viel anders als eine zarte Krähe von der Nehrung schmeckt ein Hähnchen vom Grill vermutlich nicht.
Über Krähen als durchaus übliche und sogar gehobene Speise berichtet auch Max Rosenheyn („Reise-Skizzen aus Ost- und Westpreußen“, Danzig 1858 Verlag von W. Kasemann, S. 179 f.) viele Jahre zuvor: 

„Welche Dürftigkeit auf dieser Nehrung herrscht, zeigt der Umstand, daß die Fischerdörfer ihrem Pfarrer eine Anzahl Krähen als Kalende in die Küche liefern“.

Einem Beitrag aus der Osterausgabe 1973 des Samländischen Heimatbriefs „Unser schönes Samland“ (S. 10), entnahm ich einen kleinen Absatz, der sich näher mit den Krajebietern befasst:

"Einer der bekanntesten Krajebieter um 1900 war der 'Vogelfalk', er ist später ertrunken. Ein mir bekannter Gastwirt in Königsberg / Pr . (Hufen) erzählte, daß er oft gebratene Tauben verabreichte. Bei ihm eingeladen, habe ich auch eine mit Genuß verzehrt. Später berichtete er mir, es sei eine Krähe gewesen. Ich kann mir denken, daß so manch ein Besucher oder auch eine Besucherin sich heute noch den Gaumen leckt, denkt man an die gebratenen Tauben auf den Hufen. Wichtig war jedoch, daß der Perzel (Bürzeldrüse) weggeschnitten wurde. Besonders junge Krähen, die gerade flügge geworden waren, schmeckten am besten. Wir Jungens haben zu Hause in Großheidekrug auch Krähen gefangen und nach Hause gebracht zum Kochen. Meine Mutter hat sie dann auch gekocht und mit Sahne abgeschmeckt. Gegessen haben aber nur wir Jungens. Unsere Eltern sagten sich: „Wat de Bua nicht kennt, dat frett he nich." Die Krähen, die wir fingen, wurden allerdings mit dem Messer getötet, denn den Kniff wie die ,,Krajebieter" kannten wir nicht."

(cg)

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